Gern präsentiert sich die Deutsche Bahn als fürsorglicher Arbeitgeber. Sie wirbt mit dem Slogan „Kein Job wie jeder andere“ und präsentiert sich so als Konzern auf der Suche nach Nachwuchs. Es scheint, als wolle sich die Bahn verjüngen. Das macht durchaus Sinn, denn die Generation über 40 hat nicht viel zu lachen. In dieser Altersgruppe wird gnadenlos aussortiert. Und dabei ist jedes Mittel recht – Hauptsache, man ist den Mitarbeiter los.

Besonders hart trifft es Menschen, die irgendwann krank wurden. Denen der Schichtdienst über die Jahre zugesetzt hat. Ich habe mit Menschen gesprochen, langjährige Mitarbeiter, die oft zwanzig Jahre und mehr bei der Bahn beschäftigt sind oder waren. Gebrochene, die sich nie etwas zuschulden kommen ließen, sich aber nun auf dem Abstellgleis wiederfinden. Denen mit durchaus legalen Mitteln der Garaus gemacht wurde, um Platz zu schaffen für die neue, jüngere Generation.

Ich treffe mich mit Ante M. (Name geändert). Ein Hüne von knapp einem Meter Neunzig, Mitte fünfzig. Einer, der gerne lacht und sich nicht scheut, anzupacken. Er hat Hände wie Bratpfannen, aber sein Händedruck ist schwach geworden. Seine Augen lassen noch den Schalk erahnen, der ihm innewohnte. Doch das Lächeln fällt ihm schwer diese Tage. Sein Herz, sagt er, es wolle nicht mehr so wie früher. Und es stimmt – der kurze Weg über die Treppen zur der Terrasse lässt ihn kurzatmig werden. Er beginnt zu erzählen – wie er vor gut zwanzig Jahren nach Bayern kam und bald eine Anstellung bei der Bahn ergatterte. Er wollte keine Karriere machen. Arbeiten und Geld verdienen. So reinigte er Wagons, wusch Lokomotiven im Schichtdienst. Jedes zweite Wochenende – wenn sein Vorarbeiter anrief, auch öfter.

Zum Arzt ging er selten, der „Bahnarzt“ war zufrieden – bis er eines Tages zusammenbrach. Herzinsuffizienz. Eine Schwäche des Herzens, das es nicht mehr schaffte, den Körper des netten kräftigen Riesen ausreichend zu durchbluten. Nach der Rehabilitation war sein Herz zwar nicht wieder gesund, aber Ante hatte immer noch den Willen seinen Beitrag zu leisten. Wenn auch nicht mehr in der vollen Wochenarbeitszeit.

„Wiedereingliederung“ heißt das Zauberwort. Vorgeblich eine Maßnahme, in der versucht wird, ein Aufgabenfeld für den Mitarbeiter zu finden, dass seiner Leistungsfähigkeit gerecht wird. Was sozial und human klingt – und auch wäre – macht die Bahn allerdings zu einem grobmaschigen Netz, durch dass man jene leicht fallen lassen kann, die nicht dem neuen „kein-Job-wie-jeder-andere“ Anspruch gerecht werden. Dafür, dass die Maschen weit genug sind, sorgt der „Wiedereingliederungs-Manager“. Ein Vollstrecker, der diese Aufgabe übernimmt. Der die Delinquenten zum Termin lädt und ihnen Formulare zur Unterschrift vorlegt. Hat er einen Weg gefunden, folgt ein Tribunal, vor dem sich der Wiedereinzugliedernde dann wiederfindet. Der Betriebsrat ist zwar dabei, mangels Sachkenntnis unterzeichnet er aber wie gewünscht. Kann schon sein, dass er bei der Dienstplangestaltung meckert, aber ansonsten wird abgenickt.

So war es auch bei Ante. Es fanden dann Arbeitsversuche statt. Zum Beispiel als „Reisendenhelfer“. Also Fahrgästen mit Auskünften dienen, schweres Gepäck die Treppen hinauf tragen. Mit Kindewägen helfen. „Wie soll ich schaffen?“ sagt Ante „Deutsch nicht gut, von Tarif keine Ahnung und Herz zu schwach für Treppen…“

Überflüssig zu erwähnen, dass diese Wiedereingliederung in die Hose ging. Und schon ist der Weg frei, den Mann loszuwerden. Immerhin hat man sich ja bemüht eine Aufgabe für Ante zu finden, oder nicht?

Ante erzählt von ähnlichen Fällen und ich recherchiere weiter. Es hat System. Und die Geschichten, die ich zu hören bekomme, wären lustig, wenn sie nicht so unendlich traurig wären.

Da ist Bernd aus dem Erzgebirge. Anfang fünfzig und schon in der dritten Generation Eisenbahner. Seit früher Kindheit begeistert von der Bahn, von der Technik. Hochdeutsch hat er nie wirklich gelernt – sein Dialekt ist schwer zu verstehen. Er wurde Fahrdienstleiter . Er stellte die Weichen für die Züge. Sorgte dafür, dass der Bahnbetrieb sicher lief– bis eine Krankheit sein Gehör irreparabel schädigte.

Oder Paul. Anfang vierzig und Zugbegleiter aus Leidenschaft. Bis eine schwere und schmerzhafte Knochenkrankheit dieser Tätigkeit ein jähes Ende bereitete. Starke Schmerzmittel machen ihn müde. Das Cortison lässt das Wasser nicht mehr aus seinen schmerzenden Beinen. Er liebte seinen Beruf, den Umgang mit Menschen. Und die mochten ihn – den stets hilsbereiten Mann in Uniform.

Heinz – Ende fünfzig. Er hat schon als Jugendlicher bei der Bahn gelernt, wurde Elektriker. Er sorgte über viele Jahre dafür, dass es Licht gab in den Abteilen und beseitigte zuverlässig jeden Kurzschluss. Bis die Knie anschwollen und eine schwere Diabetes hinzukam.

Keiner von ihnen ist mehr bei der Deutschen Bahn. Alle sollten „wiedereingegliedert“ werden. Aber leider scheiterten die Arbeitsversuche. Dabei hatte sich der Wiedereingliederungsmanager doch solche Mühe gegeben, einen Job für die Männer zu finden.

Bernd: Er war wohl doch der Aufgabe nicht gewachsen, per Lautsprecher Züge anzusagen oder die Zugauskunft zu managen.

Bei Heinz hat es leider nicht geklappt mit dem Wagonwaschen im Freien oder in der zugigen, ungeheizten Halle. Beim Aufsammeln der Hinterlassenschaften der Passagiere genügte er nicht dem Anforderungsprofil.

Auch Paul hatte leider Pech: Der Gleisbau mit seinen zentnerschweren Maschinen hatte ihn wohl überfordert…

 

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Written by Albert

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