Von Weitem kann man es schon hören – eine Kakophonie aus tief wummernden Bässen, übersteuerten Höhen, röhrendem Motor und quietschenden Reifen. Viel schneller, als man es glauben mag, ist es da. Und auch schon wieder weg. Das schwarze Auto biegt links ab, driftet leicht. Der Motor heult auf, zweiter Gang. Dritter. Rücklichter verschwimmen durch eine Staubwolke, die sich langsam wieder legt. Durch den Dopplereffekt hört es sich an, als würde eine Schallplatte ein wenig langsamer laufen. Der aggressive Lärm zieht eine akustische Spur durch den weiten Linksbogen der schmalen Straße, verstärkt und zurückgeworfen von den Fassaden der Häuser. Menschen stehen fassungslos am Fahrbahnrand.
Eine Rallye? Ein Bergrennen?
Nein – wir befinden uns nicht bei einem Rallye-Event oder einem Amateur-Bergrennen. Eine Tempo 30 – Zone ist der Schauplatz. Die Leute sind keine Fans, sondern Anwohner und Spaziergänger mit ihren Kindern. Verwundertes Stirnrunzeln weicht Zornesfalten. Das soeben Erlebte lässt die Leute spontan darüber reden. Köpfe werden geschüttelt. Hände zeigen erst in die eine, dann in eine andere Richtung. Es wird gestikuliert.
Dieses Ritual wiederholt sich seit Jahren immer wieder in unterschiedlichen Intervallen. Ein junger Bursche – mit wesentlich mehr PS denn IQ ausgestattet – schreit nach Aufmerksamkeit. Sein übermotorisiertes Fahrzeug niederbayerischer Herkunft ist der Kokon, in dem sich sein Fahrer unverwundbar wähnt. Wenn das erste Gehirn auf dessen Kühlergrill zerplatzt, mag das zutreffen. Bäume oder Hauswände werden die vermeintliche Sicherheit zu relativieren wissen.
Zwischen Verwünschung und Sorge
Die Gespräche der Leute drehen sich genau darum. Verwünschungen werden ausgesprochen, fiktive Szenarien beschrieben. Einer telefoniert – ruft die Polizei. Erstaunlich, wie viele das vor ihm schon getan haben. Autonummer und Fahrer seien schon lange bekannt, heißt es. Aber was könne man schon tun?
So paart sich die anfängliche Wut mit Sorge und Hilflosigkeit. Die Menschen bleiben länger stehen diesmal. Wo früher jeder für sich dem Rowdy die Faust hinterher streckte, bildet sich nur eine kleine Gemeinschaft Betroffener. Verkrampfungen lösen sich langsam. Es wird auch wieder mal gelacht. Die Atmosphäre wird zwangloser, Zigaretten werden herumgereicht.
Da kommt die Polizei.
Zwei freundliche Polizisten gesellen sich hinzu, begrüßen jeden Einzelnen. Sie hören sich geduldig an, was die versammelten Nachbarn zu erzählen haben. Jeder hat eine Variante. Manche sind dem Möchtegern-Rennfahrer schon an anderen Orten begegnet. In Kurven. Auf der eigenen Fahrspur. Oder der Kombination aus beidem.
Man merkt, dass es den Bewohnern gut tut, Angestautes loszuwerden. Die Polizisten zeigen Verständnis. Mehr noch: Sie teilen die Sorge. Einer zückt ein Klemmbrett, schreibt die Namen auf. Trotzdem steht dann doch die Erkenntnis: Man könne – bei aller Solidarität – so gut wie nichts unternehmen. Eine Idee sei, sich mal mit der Laserpistole auf die Lauer zu legen. Man werde die Führerscheinstelle informieren. Das Auto könne man auch mal unter die Lupe nehmen.
Zuletzt noch eine Ermahnung an die Mutter, die zum Schutz ihres behinderten Kindes einige Pylonen aufgestellt hatte – immerhin gibt es in dieser Tempo-30-Zone keine Bürgersteige: Besser bleiben lassen! Das sei ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.
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